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 08/04

 
 

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Clea Koff

Die Knochenfrau

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Malik  2004, 248 S., 16 Farbabb.

EUR 19,90 (D), EUR 20,50 (A), CHF 34,90

ISBN 3 89029 271 2

Rezension

Jeden Abend flimmern sie über die Bildschirme, die Nachrichten von Krieg, Völkermord, Folter und Menschenrechtsverletzungen. Sauber platziert zwischen Abendessen, Kultur, Sport und Spielfilm. Der sterile Schauer aus der Ferne, sauber serviert und nach wohldosiertem Konsum per Fernbedienung abgetragen. Keine Epoche, kein Jahrzehnt, kein Jahr und wahrscheinlich nicht einmal ein Monat ohne das methodische, effiziente, holocaustartige Entsorgen von Zeitgenossen, Mitmenschen, Nachbarn, Verwandten. Heute die Einen, morgen die Anderen, Geknechtete und Weltpolizisten entpuppen sich Täter. "Nie wieder" lautete der einhellige Ruf nach 1945. Ist er verhallt? Wo ist die Völkergemeinschaft und die Menschen, die nach Frieden streben, die für die Bewahrung der Menschenrechte eintreten? Es gibt sie, es sind WissenschaftlerInnen, die im Auftrag des UN-Kriegsverbrechertribunals und Menschenrechtsorganisationen arbeiten.

Man kann Menschen abschlachten, sie entsorgen, aber niemals gänzlich zum Verstummen bringen. Ihre geschundenen Knochen klagen von Wissenschaftsteams zum Sprechen gebracht an. Clea Koff ist die "Knochenfrau", die den Toten wieder eine Stimme verleiht. Ihr persönlicher seelisch aufwühlender wie wissenschaftlich packender Bericht über die Arbeit in Massengräbern fesselt vom ersten bis zum letzen Wort. Für das UN-Kriegsverbrechertribunal in Ruanda, Bosnien, Kroatien und Kosovo kniete sie in den verwesenden Leichen von gefolterten und abgeschlachteten Kindern, Frauen und Männern. Die daraus gewonnenen Ergebnisse gibt Überlebenden Gewissheit, rekonstruiert die Tathergänge und liefert Beweise für die Anklage der Verantwortlichen.

Basierend auf ihr Tagebuch entrollt sich vor den Augen der LeserInnen das Leben der jungen Wissenschafterin zwischen Professionalität und menschlicher Belastbarkeit. Die Arbeitsumstände sind oft genug schauderhaft und damit sind nicht die Untersuchungen an den Toten gemeint. Der Anblick und der Geruch sind normaler Alltag für forensische Anthropologen und Archäologen. Nein, es ist die Angst vor tödlichen Angriffen aus idyllischen Landschaften, Tretminen in grünen Wiesen gepaart mit dem Minimieren aller persönlichen Bedürfnisse. Clea Koff und ihre KollegInnen riskieren ihr Leben, ihre seelische Balance! Oft wird sie nicht satt, kann sich nur notdürftig waschen, schläft in Quartieren deren Wände mit dem Blut der Opfer bedeckt ist..

Manchmal schleicht sich beim Lesen die Frage ein: Wie gut muss diese Arbeit bezahlt werden? Wissenschafter sind oft Idealisten und arbeiten aus Interesse zu Spottpreisen, die weit unter dem Niveau von ungeschulten Hilfskräften liegt. Die Bezahlung wird auch von ihr nie angesprochen. Für die forensische Anthropologin Clea Koff ist es kein Thema, ihre Aufgabe ist die Aufklärung von Verbrechen. Abgesehen davon ist diese Arbeit sowieso in jeder Hinsicht unbezahlbar. Mit ihrem fantastischen Buch öffnet sie selbst kritischen und engagierten Menschen die Augen. Am Ende des Buches findet man eine Liste der vor dem Tribunal Angeklagten, jener Verantwortlichen für die Massengräber, die Clea Koff zu exhumieren half. Erhellend, weil noch immer Schuldige unbestraft bleiben, Strafmilderung erhalten, schon wieder frei sind oder gar nicht gesucht werden.

Die Arbeit der Menschrechtsorganisationen reißt niemals ab. Es kann daher gar nicht genug Unterstützung dafür geben. Halten wir uns angesichts der Millionen Toten vor Augen: Sicherheit ist relativ! Opportunistisch betrachtet sollte man gewappnet sein, zum Opfer wird man schnell. 1999 erhielten die "Médecins sans frontières" (Ärzte ohne Grenzen) den Friedensnobelpreis, es ist an der Zeit diese Anerkennung auch den Forscherteams in den Massengräbern zu verleihen.

Danke daher an Clea Koff für dieses Buch und auch an ihren leidensfähigen Biologielehrer, der ihre Neugier förderte. Und schon jetzt danke an alle kritischen LehrerInnen, die dieses Buch parallel zu "Schindlers Liste" zum Unterrichtsthema machen werden.

© S. Strohschneider-Laue

© 2003 Strohschneider-Laue Essenz

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